Neben den Debatten um John Wansbroughs umstrittene Spätdatierung der Koranredaktion macht auch die jüngste Diskussion um syrisch-christliche Einflüsse auf den Koran erneut deutlich, dass eine detaillierte Rekonstruktion des kulturellen und religionsgeschichtlichen Kontexts der Korangenese noch aussteht. Dabei ist es aufgrund der außerordentlichen Komplexität des Gegenstandes unerlässlich, die Forschungsergebnisse von Vertretern verschiedenster Fachgebiete zu synthetisieren: Nur durch eine solche Synthese wird es möglich sein, das politische, kulturelle und religiöse Gesamtprofil der arabischen Halbinsel und der angrenzenden Gebiete im 7. und 8. Jahrhundert zu erarbeiten. Auf dem Symposium sollen deshalb Wege und Methodologien diskutiert werden, mittels derer auf wissenschaftlichem Weg das Problem der Korangenese in ihrem gesellschaftlichen, politischen und religiösen Umfeld der spätantiken Welt angegangen werden kann.
Auch wenn die Entstehungsgeschichte des Koran das thematische Zentrum des Symposiums Historische Sondierungen und methodische Reflexionen zur Korangenese – Wege zur Rekonstruktion des vorkoranischen Koran bildete, beschäftigten sich die ersten drei der insgesamt fünf geplanten Panels mit den historischen Kontexten. Die Panels (1) bis (3) („Politisch-soziale Lage und Materialkultur“, „Kultur der Halbinsel in der Spätantike“, „Religionen auf der Halbinsel“) sollten die arabische Halbinsel als Teil der spätantiken Welt beleuchten. Die Halbinsel stellte keinen homogenen Raum dar, sondern war von sehr unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten und religiösen Formen geprägt, von denen einige im Koran Gegenstand expliziter Stellungnahmen sind. Dabei ist anzunehmen, dass die Bestimmung der genauen Bedeutung solcher Anspielungen auf Judentum, Christentum und pagane arabische Gottheiten den Rekurs auf koranexterne Daten wie archäologische Funde und ein möglichst breites (also auch außerislamisches) Spektrum von literarischen Quellen erforderlich macht. Im zweiten Teil des Symposiums wurden durch die Panels (4) und (5) („Sprache und Schrift“ und „Wege zur Rekonstruktion des vorkanonischen Koran“) Themenbereiche erschlossen, die enger mit dem Koran selbst verbunden sind. Im thematischen Zentrum stand dabei die koranische Textgeschichte (Entwicklung der Orthographie, mündliche und schriftliche Tradition), das Problem syrisch-christlicher Reflexe und die Frage, inwieweit der geschichtliche ‚Sitz im Leben’ des Koran mittels einer auf textinternen Kriterien beruhenden Surenchronologie erhellt werden kann.
Einen Bericht zu dem Symposium finden Sie hier oder hier.
Programm:
Mittwoch, 21.01.2004
19:00 Eröffnungsvortrag (öffentlich) im Mschatta-Saal des Museums für Islamische Kunst: Prof. Dr. Norbert Nebes, Jena: „Die Märtyrer von Najran und das Ende der Himyar - Zur politischen Geschichte Südwestarabiens im frühen 6. Jahrhundert“
In Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst, Am Kupfergraben, Berlin Mitte; Eingang: Südpforte im Ehrenhof des Pergamonmuseums
Donnerstag, 22.01.2004
09:00–09:30 Einführung: Michael Marx, Angelika Neuwirth, Nicolai Sinai
Panel I: Politisch-soziale Lage und Materialkultur
Moderation: Prof. Dr. Stefan Wild, Berlin
09:30–10:30 Prof. Dr. Ernst-Axel Knauf, Bern: „Zur ältesten arabischen Geschichte und ihren Quellen“
Kommentar: Prof. Dr. Norbert Nebes, Jena
11:00-12:00 Peter Stein M.A., Jena: „Epigraphie als Quelle der Alltagskultur“
Kommentar: Dr. Isabel Toral-Niehoff, Freiburg
12:00-13:00 Dr. Mikhail Bukharin, Jena: „Pilgerwege und Handelswege“
Kommentar: Michael Marx M.A., Berlin
Panel II: Kultur der Halbinsel in der Spätantike
Moderation: Prof. Dr. Jan Retsö, Jerusalem
15:00-16:00 Dr. Isabel Toral-Niehoff, Freiburg: “Religionen, Sprachen und Kulturen in al-Hira“
Kommentar: Dr. Gerd-Rüdiger Puin, Saarbrücken
16:00-17:00 Prof. Dr. Barbara Finster, Bamberg: „Die arabische Halbinsel: eine spätantike Kunstprovinz“
Kommentar: N.N.
Freitag, 23.01.2004
Panel III: Religionen auf der Halbinsel
Moderation: Prof. Dr. Hartmut Bobzin, Erlangen-Nürnberg
09:00-10:00 Prof. Dr. Christoph Markschies, Heidelberg: „Christliche Konfessionen in der Spätantike“
Kommentar: Prof. Dr. Ernst-Axel Knauf, Bern
10:30-11:30 Prof. Dr. François de Blois, London: „Nazoräer (Judenchristen) im Umfeld des frühen Islams“
Kommentar: Prof. Dr. Harald Suermann, Aachen/Bonn
11:30-12:30 Prof. Dr. Harald Suermann, Aachen/Bonn: „Die Einschätzung des Islam im Zeugnis der frühesten christlichen und jüdischen Quellen“
Kommentar: Dr. J.J. van Ginkel, Leiden
Panel IV: Sprache und Schrift
Moderation: Prof. Dr. Thomas Bauer, Münster
14:00-15:00 Dr. Omar Hamdan, Berlin: „Die Entwicklung der koranischen Orthographie“
Kommentar: Dr. Gerd-Rüdiger Puin, Saarbrücken
15:00-16:00 Prof. Dr. Gregor Schoeler, Basel: „Techniken der Verschriftlichung“
Kommentar: Prof. Dr. Claude Gilliot, Aix-en-Provence
16:30-17:30 Prof. Dr. Jan Retsö, Göteborg/Jerusalem: „Eine arabische Rezitation – Araber und arabische Sprache zur Zeit des Koran“
Kommentar: Prof. Dr. Walid Saleh, Toronto
17:30-18:30 Prof. Dr. Hartmut Bobzin, Erlangen-Nürnberg: „Reste eines perfectum propheticum im Koran“
Kommentar: N.N.
Samstag, 24.01.2004
Panel V: Wege zur Rekonstruktion des vorkanonischen Korans
Moderation: Nicolai Sinai M.A., Berlin / Michael Marx M.A., Berlin
9:00-10:00 Prof. Dr. Claude Gilliot, Aix-en-Provence: „Zur Herkunft der Gewährsmänner des Propheten“
Kommentar: Nicolai Sinai M.A., Berlin
10:00-11:00 Dr. Gerd-Rüdiger Puin, Saarbrücken: „Orthographiegeschichtliche Überlegungen anhand der ältesten Koranhandschriften“
Kommentar: Thomas Milo, Amsterdam
11:30-12:30 Dr. Martin Baasten, Leiden: „Die syro-aramäische Lesart des Koran“
Kommentar: Prof. Dr. François de Blois, London
12:30-13:30 Prof. Dr. Rainer Voigt, Berlin: „Semitistische Anmerkungen zur syrischen Lesart des Koran“
Kommentar: Dr. Martin Baasten, Leiden
15:00-16:00 Prof. Dr. Walid Saleh, Toronto: „The Etymological Fallacy and Quranic Studies: Paradise, Muhammad, and Late Antiquity“
Kommentar: Dr. Rainer Nabielek, Berlin
16:00-17:00 Prof. Dr. A. Neuwirth, Berlin: „Der vorkanonische Koran als literarischer Text“
Kommentar: N.N.
17:30-18:30 Prof. Dr. Stefan Wild, Berlin: „Koranforschung – Ausblicke“
18:30-19:30 Abschlussdiskussion