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Convenor:
Friederike Pannewick
Dieses Colloquium widmet sich der Liebe im weitesten Sinne, das heißt, es wird um brennende Sehnsucht und Hingabe an ein geliebtes Wesen, einen Gott oder eine Idee gehen. Von Interesse ist jeweils der Aspekt der Grenzüberschreitung, die in einem bewussten Überschreiten bestimmter gesellschaftlicher, religiöser, moralischer oder politischer Grenzen besteht und die nicht selten bestimmte Konsequenzen, Sanktionen, Leiden oder auch Todesgefahr mit sich bringt. Wir wollen uns mit dem Phänomen der kompromisslosen Liebe befassen, die mit der Bereitschaft verbunden ist, bis zum Äußersten zu gehen, den eigenen (realen oder imaginierten) Tod wie den Tod anderer billigend in Kauf zu nehmen (Opfertod und Rachemord), oder auch sich selbst angesichts unerfüllbarer Liebe zu töten (Tod aus Liebesschmerz) oder den Tod zu wünschen.
Das Phänomen der sich verzehrenden Liebe, die zu Krankheit, Wahnsinn und schließlich zum Tod des Liebenden führt, ist einer der beliebtesten Topoi der arabischen Dichtung. In Gestalt des ursprünglich beduinischen Konzepts udhritischer Liebe in der Umayyadenzeit ließ sie Dichter wie Ğamīl (7. Jh.) jeden in der Liebe „Getöteten“ als Märtyrer bezeichnen. Ğamīl wusste, wovon er sprach, denn auch er wurde aus Kummer über seine unerfüllbare Liebe zum Märtyrer der Liebe. Später, in der Abbasidenzeit, wurde diese udhritische Liebe der „Asra“, „welche sterben, wenn sie lieben“, wie Heine schrieb, von Theoretikern und Literaten zu einem Konzept entsagungsvoller Hingabe entwickelt, in dem zuweilen der Tod der realen Erfüllung vorgezogen wird: Liebe und Tod gehen ein intimes und unlösbares Verhältnis ein. In der archetypischen Konstellation der Mağnūn-Legende und ihren Eckpunkten von Liebe, Wahnsinn und Dichtung ließe sich dann eine Weiterentwicklung des udhritischen Modells in Richtung der Mystik, des kompromisslosen Strebens des Sufis zu Gott, lesen. Der Bogen spannt sich hier von dem persischen Sufi und Dichter Ğāmī (gest. 1492) bis hin zu Aragons Le fou d ́Elsa (1963).
Wenn der Anspruch an die Liebe so hoch ist, dass sie notwendig scheitern muss und somit das quälende Scheitern des Liebenden nach sich zieht, stellt sich die Frage nach einer selbst gewählten Selbstdestruktion in der Liebe. Ästhetische Grenzfiguren wie der Dichter cAbbās b. al-Ahnaf (gest. um 807), der vom „Geschmack des Todes im Becher der Lust“ schrieb, deuten auf eine Lust am Leiden, seelische Grausamkeit und eine literarische Selbststilisierung als Leidender und Sterbender.
Es stellt sich die Frage, wie „die Liebe, die tötet“, wie dieser liminale Akt der Selbstopferung oder leidenden Hingabe oder Selbstaufgabe, durch den sich die Seinswerdung des Menschen erst zu vollziehen scheint, literarisch repräsentiert wird.
Im Colloquium „Martyrdom and/ in Modernity“ am Wissenschaftskolleg wurde 2002 das Verhältnis von Dichtung und Märtyrertum thematisiert. Kann die Bereitschaft für einen Akt des Martyriums überhaupt ohne seine symbolische Produktion, ohne seinen öffentlichen Lobpreis in der Literatur entstehen? Welche Rolle spielt die literarische Repräsentation bei der Schaffung von Märtyrern? Ausgehend von der auf diesem Colloquium bestätigten Einsicht, dass die symbolische Darstellung des Opfertodes in der Literatur uns wie kaum ein anderer kultureller Bereich helfen kann, Tiefendimensionen menschlichen Verhaltens und Erlebens zu verstehen, soll in der nun folgenden Veranstaltung quasi das treibende Moment, der Katalysator, der den T od beschleunigt, weiter untersucht werden: liebende Hingabe und kompromisslose Selbstentäußerung. Zahllose poetische Texte verschiedener Epochen und Länder zeugen von dieser „Liebe, die tötet“. Fast scheint es so, als ob große Liebe ohne Todesnähe nicht denkbar, als ob Eros und Thanatos untrennbare Einheiten wären.
Nun stellt sich die Frage, ob das vorbehaltlose Sich-Einlassen auf die Liebe und die Selbstaufgabe zugunsten eines Höheren tatsächlich verbindende Momente zwischen einer tödlichen Selbstopferung des Märtyrers und einen Tod aus Liebe darstellen. Die islamische Tradition der „Märtyrer der Liebe“ scheint diese Sicht zu stärken. Auch über die frühislamische kharijitische Dichtung, die wie die udhrîtische Dichtung sich intensiv mit dem Tod – und besonders dem Märtyrertod – auseinandersetzt und eine neue soziale Ordnung in Einklang mit dem Islam fordert, ergibt sich eine Brücke zwischen Liebe, übersteigertem Individualismus, Selbstzerstörung und Tod in der Dichtung. Denn das udhritische Liebesideal mit seiner Bevorzugung individueller Beziehungen gegenüber Stammesinteressen ist nicht weniger anti- sozial und letztlich selbstzerstörerisch als die kharijitische Todesfaszination. Zu fragen ist auch, welches Verhältnis Eros, Thanatos und das Göttliche eingehen – wenn zum Beispiel in der islamischen Tradition Märtyrern Paradiesjungrauen im Jenseits in Aussicht gestellt werden, die die Qualitäten ihrer realen Gattinnen bei weitem übertreffen. Interessant wäre es nun zu verfolgen, ob dies ein spezifisch semitisches Phänomen ist oder eher ein tribales bzw. gesellschaftlich bedingtes ist, oder ob es schlichtweg menschlich und universal zu verstehen wäre.
Im poetischen Feld wirken Imagination und Emotion, Diskurs und Bild zusammen, um unsere Wahrnehmung und Handlung zu beeinflussen und zu steuern. Deshalb ist der Ansatz der literarischen Anthropologie, in der Literatur nicht als Quelle objektiver Information gilt, sondern in dem ihre Verfahren zum Gegenstand anthropologischer Fragestellungen gemacht werden, für diese Fragestellung von besonderer Bedeutung. Es gilt Ausschau zu halten, welche verschiedenen Modelle der kulturellen Leistung von literarischen Fiktionen entwickelt werden bzw. was die besonderen Leistungen von Literatur gegenüber anderen Produkten kulturbildender Aktivitäten sind. Literatur wird als Anthropologie sui generis verstanden, im Sinne einer authentischen, durch Selbsterfahrung und Selbstreflexion gewonnenen Einsicht in die Natur des Menschen.
Die anthropologisch betrachtete Literatur wird als Weltliteratur begriffen, die sich nicht ohne weiteres in nationale, sprachliche oder regionale Grenzen fassen lässt. Gerade Grenzüberschreitungen, Querbezüge und Wanderungen bestimmter Topoi von Eros und Thanatos in den verschiedenen Literaturen der Welt interessieren in diesem Zusammenhang einer vergleichenden literarischen Anthropologie. Bei diesem Colloquium wollen wir von arabischen Facetten der „Liebe, die tötet“ ausgehen und fragen, welche Entsprechungen, Analogien oder vielsagenden Vakanzen dieses Phänomen in anderen Literaturen finden mag.
Schedule:
Dienstag, 1 Juli
Einführung (Friederike Pannewick, Berlin)
Panel I: Liebestod: Imagination, Selbstopfer, Selbstinszenierung
Moderation: As’ad Khairallah (Beirut)
9.30 - 10.30
Anton Van Hooff (Nijmegen), Martyrs of Love, the Ancient Novel as the Climax of Deadly Eros
10.30 - 11.30
Renate Jacobi (Berlin), Die Udhra Liebe und Tod in der Umayyadenzeit
12.00 - 13.00
Susanne Enderwitz (Heidelberg), Al-Abbas b. al-Ahnaf, die Liebe und der Tausch
Panel II: Narrative Strategien tödlicher Liebe
Moderation: Maher Jarrar (Berlin; Beirut)
15.00 - 16.00
Ingrid Kasten (Berlin), Der Liebestod Tristans: Martyrium oder Opfer?
16.00 - 17.00
Stefan Leder (Halle), Sterben an Liebe, Sterben aus Liebe? Histoire und discours in früharabischen Geschichten zu Liebe und Tod
17.30 - 18.30
Beatrice Gründler (Yale), Eine narrative Anatomie des Liebestodes
Mittwoch, 2 Juli
Panel III: Mars und Eros. Von der Liebe, die Leiden schafft
Moderation: Anton Van Hooff (Nijmegen)
9.00 - 10.00
Thomas Bauer (Münster), Liebe zu Zeiten der Kreuzzüge. Ibn Munir al- Tarabulusi
10.00 - 11.00
Martin Treml (Berlin), Liebe und Tod in der Tragödie: Phaedra bei Euripides, Seneca und Racine
11.30 - 12.30
Peter Burschel (Erfurt): Leiden und Leidenschaft. Zur Inszenierung christlicher Martyrien in der frühen Neuzeit
Panel IV: Das Liebesopfer zwischen Ohnmacht, Hingabe und Gewalt
Moderation: Reinhart Meyer-Kalkus (Berlin)
14.30 - 15.30
As’ad Khairallah (Beirut), Al-Majnun from Udhri Heroism to Bodily Indulgence
15.30 - 16.30
Angelika Neuwirth (Berlin), "ErlaubteGewalt" – Das Selbstopfer als Verwandlung der Welt im klassischen und modernen Ghazal
17.00 - 18.00
Eckart Goebel (Berlin), „Herzpause“. Urgeschichten der Liebe bei R.M. Rilke, S. Spielrein und O. Gross
20.00
Raymond Scheindlin (New York), Islamic Motifs in Judah Halevi’ s Pilgrimage Poetry / Vortrag im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Wenn Liebe tötet ... Beiträge zu einer vergleichenden literarischen Anthropologie
Convenor: Friederike Pannewick
Villa Jaffé, Wissenschaftskolleg zu Berlin, Wallotstr. 10, 14193 Berlin